Politik

Zehntausende in Deutschland protestieren gegen das Eisenbahnprojekt “Stuttgart 21”

Zehntausende in Deutschland protestieren gegen das Eisenbahnprojekt “Stuttgart 21”

Der Streit um den Wiederaufbau des Hauptbahnhofs in Stuttgart hallt nun durch die deutsche politische Landschaft. Kanzlerin Merkel hat ihr politisches Schicksal direkt an dieses kontroverse Bauprojekt – “Stuttgart 21” – gebunden, ein Anliegen, das in den letzten Wochen Zehntausende von Demonstranten auf die Straßen gebracht hat. In der Haushaltsdebatte im Bundestag verteidigte Merkel den teuren Milliardenbau des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Sie hat sich geweigert, ein Referendum zu fordern, mit der Begründung, dass die Landtagswahlen im nächsten März einer öffentlichen Volksabstimmung über das Projekt “Stuttgart 21” gleichkommen werden. Wenn die Christlich Demokratische Union (CDU) die Wahlen in Baden-Württemberg verliert, wo sie seit 1952 ununterbrochen an der Macht ist, ist es unwahrscheinlich, dass Merkel ihre Position als CDU-Vorsitzende und Kanzlerin behalten wird.

Stuttgart, die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, hat seit Monaten eine Welle von Protesten erlebt, deren Ausmaß seit der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung der 1970er und 1980er Jahre in Deutschland nicht mehr gesehen wurde. Woche für Woche protestieren Zehntausende von Menschen vor dem Hauptbahnhof, um seinen Abriss zu verhindern. Es kommt zu zahlreichen kleineren Protesten, wie dem sogenannten “Schwabenstreich”, bei dem täglich um 19 Uhr Füße gescharrt, Töpfe und Pfannen geklappert und Autopfeifen gehupt werden. Es gab auch Zusammenstöße mit der Polizei, als mehrere hundert Demonstranten die Baustelle stürmten und besetzten. Die Teilnehmer kommen aus verschiedenen sozialen Schichten, darunter viele aus der Mittel- und Oberschicht. Schauspieler, Architekten, Professoren, Ärzte und Umweltaktivisten sind besonders aktiv. Selbst der ehemalige Daimler-CEO Edzard Reuter hat eine Petition unterzeichnet, die einen Baustopp und ein Referendum fordert. Es gibt viele verschiedene Motive, die die Menschen auf die Straße treiben.

“Stuttgart 21” wird im Allgemeinen als Prestigeprojekt angesehen, das Milliarden kostet, aber nur wenige Vorteile bringt, während dringende Infrastrukturprojekte wie die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, Schulen, Kindertagesstätten usw. aufgrund angeblichen Geldmangels stocken. Offiziell wird der Umzug des Bahnhofs unter die Erde und der Bau eines Tunnels unter der Stadt zum Flughafen mit 4,1 Milliarden Euro veranschlagt, die von Stadt, Land und Bundesregierung sowie der Deutschen Bahn bezahlt werden. Ursprünglich sollte es “nur” 2,6 Milliarden Euro kosten. Experten gehen nun davon aus, dass die Gesamtkosten, einschließlich der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm, mehr als 10 Milliarden Euro betragen werden. Darüber hinaus bestehen unkalkulierbare Risiken aufgrund der schwierigen Bodenverhältnisse. Andere neue Bau- und Renovierungsprojekte – wie die Erweiterung des Güterverkehrs zur Entlastung von Straßen und Autobahnen – sind seit Jahren blockiert, ebenso wie lokale Verkehrsprojekte und wichtige Investitionen der Stadt und des Landes. Die begrenzte Kapazität des neuen Bahnhofs wird es praktisch unmöglich machen, einen synchronisierten Fahrplan mit kurzen Umsteigemöglichkeiten einzuführen, wie es wesentlich zum Erfolg der Schweizerischen Bundesbahnen beigetragen hat.

Die Gegner von “Stuttgart 21” werden auch von Umwelt-, Naturschutz- und Sicherheitsbedenken motiviert. Es wird befürchtet, dass die Qualität des Grundwassers und der Mineralwasserquellen von Stuttgart, die die zweitgrößten Europas sind, beeinträchtigt wird, wenn unterirdische Ströme Tunnel für die Eisenbahn weichen müssen. Das Bahnhofsgebäude, dessen Seitenflügel derzeit abgerissen wird, gilt als Kulturdenkmal. Viele Bäume im Stadtpark werden auch dem Neubau zum Opfer fallen. Ingenieure befürchten außerdem, dass der im Boden vorhandene hohe Anhydritgehalt ernste Sicherheitsrisiken mit sich bringen könnte. Der Mineralstoff dehnt sich um bis zu 50 Prozent aus, wenn er feucht wird, und schiebt alles, was sich ihm in den Weg stellt, beiseite. Aus diesem Grund ist der Architekt Frei Otto, Mitgewinner des Wettbewerbs für den neuen Bahnhof, aus dem Projekt ausgestiegen, doch seine Warnungen vor möglichen Gefahren verhallen ungehört. Aber all diese Faktoren sind unzureichend, um zu erklären, warum Zehntausende gegen ein Projekt protestieren, das seit 15 Jahren geplant ist.

Der Kampf für eine nachhaltige Stadt und Umwelt erfordert mehr als nur fantasievollen Protest. Er erfordert ein sozialistisches Programm, das auf der Verteidigung aller sozialen und demokratischen Errungenschaften der arbeitenden Menschen, der Jugend und der Rentner beruht, geführt von einer politischen Bewegung, die vollständig unabhängig von den Grünen, der SPD, der Linken und allen anderen bürgerlichen Parteien ist.

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